Moderne IT kann mit erfahrenen, spezialisierten, hervorragend bezahlten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verglichen werden, die ignoriert, gemieden oder nicht ausgelastet werden, obwohl sie Millionen kosten. Das sagt Nadjia Yousif, Partnerin und Geschäftsführerin bei der Boston Consulting Group (BCG) und Mitglied der Bereiche „Technologievorsprung“ und „Finanzinstitute“.
Yousif weist darauf hin, dass 25 % der Projekte im Technologiesektor eingestellt werden oder zu Ergebnissen führen, die nie genutzt werden. Damit werden pro Jahr Milliarden von Dollar verschwendet. Aber bevor wir der Technik die Schuld geben, sollten wir uns eingestehen, dass wir bei der Integration neuer Tools am Arbeitsplatz oft nicht die gebührende Sorgfalt walten lassen. Uns fehlt das Verständnis dafür, wie sich diese Veränderungen auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ihre Produktivität auswirken.
Wie kommt es dazu? Die meisten Unternehmen gehen nicht mit der richtigen Denkweise an neue Technologien heran, findet Yousif. Sie hat aber auch festgestellt, dass kreative und umfassende Experimente positive Ergebnisse hervorbringen. Nehmen wir zum Beispiel diese einfache Frage: „Was wäre, wenn wir Technologie wie einen Kollegen oder eine Kollegin behandeln würden?“
Die Anschaffung technischer Tools ist nämlich nur der Anfang. Führungskräfte müssen außerdem eine Kultur aufbauen, die eine nutzbringende, kosteneffiziente Partnerschaft zwischen Teams und Tools fördert. Yousif sagt: „Wenn wir uns vorstellen, dass diese Maschinen in Wirklichkeit wertvolle Kollegen oder Kolleginnen sind, erbringen wir bessere Leistungen und sind zufriedener.“
Sie gelangt zu den folgenden drei Erkenntnissen, mit denen Unternehmen eine Kultur aufbauen können, die eine starke Partnerschaft zwischen Teams und Technologie gewährleistet.
1. Unterstütze die Arbeit mit eigenen Tools
Natürlich ist Alignment von entscheidender Bedeutung. Dennoch sollte es, so Yousif, auch Raum für das geben, was sie als „die Freiheit, das vorgegebene Ziel mit deinem Fachwissen und den dir zur Verfügung stehenden Tools zu erreichen“ beschreibt.
In einem Artikel der Harvard Business Review geht es um die stellvertretende Geschäftsführerin einer in Not geratenen Firma, die sich dafür rechtfertigen musste, dass sie mit ihrer privaten Kreditkarte für ein Cloud-basiertes CRM-System bezahlt hatte. Die von ihrem CIO vorgestellte Lösung wäre frühestens in ein paar Jahren einsatzbereit gewesen. Dabei hatte sie durch ihre Eigeninitiative den Umsatz pro Monat um 1 Million USD gesteigert. „Wer glaubt, dass so etwas in seinem Unternehmen nicht vorkommt, irrt“, schreiben die Autoren. Und sie plädieren dafür, dass kluge Führungskräfte Situationen wie dieser offen gegenüberstehen und Projekt-Teams unterstützen, die auch einmal eigenwillige Lösungen erarbeiten.
„Alle, die Tag für Tag direkt mit den Tools arbeiten, wissen am besten, wie man sie nutzt. Und das sind eben nicht unbedingt die Führungskräfte“, sagt Yousif. „Wenn wir Technologien optimal einsetzen möchten, müssen wir aufhören zu glauben, dass nur die Führungsebene Bescheid weiß, denn tatsächlich ist gerade dort nicht immer allen klar, wie und wo Tools im Alltag am sinnvollsten eingesetzt werden können.“
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2. Sprich offen über Prozesse
Laut Yousif ist es bei BCG nicht ungewöhnlich, dass Menschen, die noch nie zuvor zusammengearbeitet haben, mit einem gemeinsamen Projekt beauftragt werden, bei dem schnell und innerhalb des vorgegebenen Zeitplans qualitativ hochwertige Ergebnisse mit weit reichenden Auswirkungen erzielt werden sollen. „Diese Kombination kann schon mal abschrecken und wirkt auf manche Leute sogar lähmend“, sagt sie. Am einfachsten und effektivsten lässt sich der Stress aus solchen Phasen nehmen, indem man darüber spricht.
In einem TED-Vortrag aus dem Jahr 2018 hat Yousif darauf hingewiesen, dass in Unternehmen, in denen offen über Technologien am Arbeitsplatz diskutiert wird, Mitarbeiter ein um 20 % geringeres Stresslevel haben. „Manchmal reicht es schon aus, deinem Projekt-Team zum Beispiel zu sagen: ’Ach, kein Problem. Wir lernen ja alle gerade erst, wie wir mit Slack arbeiten können’“, hat sie damals gesagt.
“Wir müssen unsere Technologien so darstellen, als seien sie eine positive Erweiterung unserer eigenen Intelligenz.”
Eine integrative Maßnahme, um Technologien für mehr Mitarbeiter zugänglich zu machen, besteht darin, Fachjargon, Abkürzungen oder technische Begriffe bei der Einarbeitung der Teams in neue Tools zu vermeiden. „Wenn wir ernsthaft wollen, dass alle die gleichen Chancen haben und vom digitalen Wandel profitieren,“ sagt sie, „dann gibt es nur eins: Wir müssen unsere Technologien so darstellen, als seien sie eine positive Erweiterung unserer eigenen Intelligenz, und keine Blackbox, mit der man nicht interagieren und von der man daher auch nicht profitieren kann.“
Es lohnt sich, Zeit in den Feedback-Prozess zu investieren. Yousif hat über ein Unternehmen gesprochen, das einstündige Termine angeboten hat, die ausschließlich dazu gedient haben, dass die Team-Mitglieder das System der HR-Abteilung kennenlernen. Einige Leute haben sich durch die einzelnen Menüpunkte geklickt. Andere haben online Dinge recherchiert, die ihnen noch nicht klar waren. Ein paar Leute haben sich einfach zusammengesetzt und sich über die neue Software unterhalten.
Einige Wochen später, so Yousif, hat der Initiator dieses Prozesses angerufen und erzählt, dass „die Leute das System auf völlig neue Weise nutzen und er der Meinung war, dass ihnen dieses Vorgehen in Zukunft wochenlange Arbeit ersparen würde. Außerdem ist dabei die Angst vor der neuen Software verschwunden.“
3. Fördere eine kontinuierliche Lernkultur
Hunderte von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eines britischen Autoherstellers, der dabei war ein hohes Maß an Automatisierung zu implementieren, haben laut Yousif eine Achtsamkeitsschulung erhalten. Die Grundidee dabei war, dass „Achtsamkeit neue neuronale Pfade öffnet, die Menschen generell anpassungsfähiger machen, damit sie nicht länger an festgefahrenen Gewohnheiten hängen und sich gegen Veränderungen sträuben“.
Zwar ist dieser Ansatz nicht für alle Führungskräfte geeignet, aber trotzdem ist es für Unternehmen wichtig, ständige Schulungen (nicht nur im Bereich Technologie) zu fördern, damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stets lernbereit bleiben und sich eben nicht nur dann weiterbilden, wenn sie es unbedingt müssen.
In einer Deloitte-Umfrage aus dem Jahr 2019 zur Zukunft des Lernens und der Weiterentwicklung haben 84 % von über 10.000 Befragten angegeben, dass sie mehr in Schulungen zu neuen Fähigkeiten investieren. Darüber hinaus haben 77 % der Unternehmen die Anzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihres Schulungsteams erhöht, „wodurch dieser Bereich zur am zweitschnellsten wachsenden Rolle im Bereich HR geworden ist.“ Diese Art von „proaktiver Umschulung“, so Yousif, trägt dazu bei, einen inklusiveren Arbeitsplatz zu schaffen, an dem sich kein Mitarbeiter und keine Mitarbeiterin im Stich gelassen fühlt, auch nicht diejenigen, die in digitalen Jobs traditionell weniger stark vertreten sind. So wird das menschliche Potential viel besser ausgenutzt.