In unserer Interview-Serie Pioniere des Wandels hat Frank Thelen mit der erfolgreichen Unternehmerin und Bildungsexpertin Verena Pausder (Ada, Fox & Sheep, HABA Digitalwerkstätten) darüber geredet, wie es gelingen kann, die Digitalisierung allgemein und insbesondere im Bereich Bildung zu beschleunigen. Dafür fordert Pausder dringend „mehr Brückenbauerinnen und Brückenbauer“.
„Fortschritt in der Digitalisierung bringt Empowerment, nicht nur beim Thema Bildung, sondern auch in der Wirtschaft.”
Ohne Corona wäre die Digitalisierung in der Bildung gescheitert
„Worauf warten wir? Dass die Zukunft doch nicht kommt?“ Mit dieser Frage bringt Verena Pausder ihre Frustration in Bezug auf einen dringend nötigen Wandel im Bildungssystem prägnant auf den Punkt.
Die Unternehmerin und Bildungsexpertin ist eine Frau der Tat. Als im vergangenen Jahr ganz Deutschland zum ersten Mal in den Lockdown ging, hat sie kurzerhand eine Webseite mit nützlichen Tipps gebaut, wie das Homeschooling während der Corona-Pandemie funktioniert und Schüler dabei auch tatsächlich etwas lernen können. An der nötigen Ruhe, um ein solches Projekt fertigzustellen, mangelt es der Wahlberlinerin trotz allen Tatendrangs nicht – dass in Deutschland in vielerlei Hinsicht und insbesondere im Hinblick auf die Digitalisierung vieles nur unter Druck geschieht, sieht sie eher kritisch: „Hätten die entsprechenden Instanzen schon viel früher begonnen, an der Weiterentwicklung der Bildungsangebote zu arbeiten, hätte es im Lockdown viel besser funktioniert.“
Da trifft es sich gut, dass die Unternehmerin mitten in der Corona-Pandemie ihr Buch „Das Neue Land“ zu Ende geschrieben hat. Darin beschäftigt sich Verena Pausder nämlich mit zentralen Zukunftsthemen – von Innovationen, Digitalisierung und Work-Life-Balance über Klimaschutz und Gleichberechtigung bis hin zu Bildung.
Dass ihr insbesondere Chancengleichheit – in der Bildung und darüber hinaus – sehr am Herzen liegt, hat Verena Pausder mit dem von ihr mit initiierten Hackathon #wirfürschule bewiesen. „Wir haben beim ersten #wirfürschule-Hackathon im Juni 2020 6.000 Menschen in der digitalen Welt zusammengebracht. Sie haben gemeinsam Ideen für die Schule von Morgen entwickelt“, sagt Pausder. Die dafür notwendige Infrastruktur hat Slack bereitgestellt.
„Solche Tools nicht zu nutzen, wäre in meinen Augen fahrlässig, weil man mit ihnen so viel besser dezentral und mit Projekt-Teams an verschiedenen Orten kommunizieren kann.“
Die Schüler von heute sind die Gründer und Unternehmer von morgen.
Coding ist das Latein der Zukunft
Wie sollen die Inhalte des Unterrichts zukünftig aussehen? Verena Pausder hat dazu eine klare Meinung: „Der Unterricht in den Schulen Deutschlands ist mit reiner Wissensvermittlung überfrachtet. Den Schülerinnen und Schülern bleibt kaum Zeit, selbst zu denken.“ Dabei findet die Unternehmerin und Bildungsexpertin, dass genau die Fähigkeit, eigene Ideen zu entwickeln und nicht nur auswendig Gelerntes wiederzugeben, für die Zukunft der Arbeit wichtig ist. „Es gibt noch immer zu wenige Menschen, die sich als Softwareentwicklerinnen und -entwickler ausbilden lassen. Dabei kann man von eben jenen und ihrem Code viel zu den Themen Fehlerkultur, Problemlösungskompetenz, Teamfähigkeit und Entscheidungsfreudigkeit lernen.”
„Ein tiefer Zugang zu MINT-Fächern und Wissen über das Unternehmertum bleibt den Schülerinnen und Schülern oft verwehrt. Ich habe eine Studie des Weltwirtschaftsforums gelesen, die besagt, dass 65 Prozent der Schüler, die heute in der Grundschule sind, später in Berufen arbeiten, die es heute noch gar nicht gibt“, so Pausder. Sie ist sich sicher, dass noch einige Schritte nötig sind, um von der reinen Wissensvermittlung wegzukommen – und zwar bald. Dazu gehöre neben dem Schaffen und der effektiven Wartung einer digitalen Infrastruktur in den Schulen, eine auf den Wandel ausgerichtete Schulung der Lehrerinnen und Lehrer.
Pausder erklärt: „Wir können nicht warten, bis die nächste Generation Lehrerinnen und Lehrer in fünf Jahren das passende Handwerkszeug für eine digitale Bildung mitbekommen hat. Wir müssen Lehrerinnen und Lehrer jetzt in Echtzeit schulen.“
Wie bekommen wir Agilität in die Unternehmen?
Bildung und Unternehmen sind eng miteinander verbunden. Denn die Schülerinnen und Schüler von heute sind die Unternehmer und Gründer von Morgen. Und auch die Unternehmen befinden sich ebenso wie die Bildung aktuell in einer Zeitenwende. Die Top 500 deutschen Familienunternehmen sind im Schnitt 101 Jahre alt. Gleichzeitig gibt es immer mehr neue Firmen, die die Familienunternehmen in der ersten Generation werden können. Verena Pausder ist überzeugt, dass wir uns von der Lagerdenke befreien müssen, um gemeinsam voran zu kommen. „Denn die etablierten Player aus dem Mittelstand sprechen Startups oft die Relevanz ab und sagen, dass sie sich erst einmal bewähren müssen, bevor sie zum Wohlstand des Landes beitragen können. Gleichzeitig gibt es jedoch auch Startups, die alteingesessene Unternehmen als verstaubt und rückständig ansehen, weil sie zum Beispiel in Sachen digitaler Weiterentwicklung noch Nachholbedarf haben“, so Pausder.
Viel besser sei es, so ist sich die Bildungsexpertin sicher, wenn Brücken gebaut würden und etablierte Player in die agile Welt eintreten, indem sie in junge Unternehmen investieren und gleichzeitig deren Know-how für sich nutzen, um beim Thema Digitalisierung und Wachstum auch ganz vorne mitzuspielen. Fortschritt und Transformation bedeute, dass junge Firmen und etablierte Unternehmen die Zukunft gemeinsam schreiben. Ein gutes Beispiel ist das Traditionsunternehmen Viessmann, mit dem wir ebenfalls in der Interview-Serie über die Transformation des Konzerns gesprochen haben.
Wie Slack und andere digitale Tools helfen, die Zukunft der Arbeit zu gestalten
Verena Pausder ist ein großer Fan verschiedener Apps und Tools, die sie aus der Startup-Welt kennt und gerne dem Kreis des etablierten Mittelstands empfiehlt. Dazu gehören zum Beispiel digitale To-Do-Boards. Da sie, wie sie sagt, To-Do-Listen liebt, sie aber nicht handschriftlich jeden Tag wieder neu übertragen möchte, nutzt die Unternehmerin dieses Tool, um immer den Überblick zu behalten.
Auch Time-Boxing-Methoden wie Pomodoro findet Pausder gut und erklärt, warum: „Ich liebe die Sprintlogik. Wenn es um Tasks geht, auf die ich keine Lust habe, stelle ich mir Pomodoro ein und nehme mir zum Beispiel vor, mich 20 Minuten lang auf eine ungeliebte Aufgabe zu konzentrieren.“
Zudem sagt Verena Pausder zu digitalen Tools: „Solche Tools nicht zu nutzen, wäre in meinen Augen fahrlässig, weil man mit ihnen so viel besser dezentral und mit Projekt-Teams an verschiedenen Orten kommunizieren kann.“ Gerade auch beim Thema New Work, das durch die Pandemie an Fahrt aufgenommen hat und in dessen Folge viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter agil und asynchron arbeiten, sind digitale Tools für die Unternehmerin aus dem Arbeitsalltag nicht mehr wegzudenken. Denn in Zeiten dezentraler Mitarbeiterführung oder von „Human Leadership“ ist Kommunikation wichtiger denn je. Das erklärt uns Verena Pausder anhand eines Beispiels aus ihrer Zeit als CEO des von ihr gegründeten Unternehmens Fox+Sheep, das Spiele-Apps entwickelt: „Das lief so: Wir haben Channel für jede einzelne App, in denen Entwickler, Produkt- und Marketing-Leute schneller und effizienter zusammenarbeiten und diskutieren können. Wichtiger noch ist jedoch unser Channel #sandbox
, in dem wir Ideen teilen, was wir noch machen könnten. Anschließend organisieren wir uns in Gruppen und sprinten. Jeder darf mal ausprobieren und vorstellen, wie weit er gekommen ist in 3 Monaten und was für neue Ideen dabei rausgekommen sind. Diese Innovationskraft braucht es, um die richtigen Antworten für die Zukunft zu geben. Agilität durch Fortschritt in der Digitalisierung bringt Empowerment – nicht nur beim Thema Bildung, sondern auch in der Wirtschaft“, erklärt Pausder.
Was macht Verena Pausder, wenn sie plötzlich für 90 Tage Kanzlerin wäre?
Für Verena Pausder ist klar: Als Kanzlerin läge ihr erster Fokus darauf, mehr Transparenz und einen einfacheren Überblick zu schaffen – über politische Ziele und Projekte und wo die gerade stehen. Mehr Transparenz in der Bildung und auch in Unternehmen – das ist es, was sich die Unternehmerin wünscht. Abgesehen davon findet sie es schrecklich, wenn Schreibtische so voll sind, dass die Personen, die daran sitzen, nicht mehr klar denken können.
Einen weiteren Schritt ihrer imaginären Kanzlerschaft sieht Pausder im Aufbau eines schlagkräftigen Digitalministerium: „Damit das nicht nur Symbolpolitik wäre, müsste es mit klarer Kompetenz, ausreichend Budget und Top-Personal ausgestattet sein und vor allem mit einem 100-Tage-Plan schnell handlungsfähig gemacht werden.“