Fast vier von zehn Befragten sind mit ihrer Führungskraft unzufrieden – das ergab eine Umfrage unter 1.500 Angestellten im Gallup Engagement Index Deutschland 2022. Diese Unzufriedenheit hat Folgen: Manche Mitarbeitende kündigen innerlich, andere machen nur noch „Dienst nach Vorschrift“ oder wechseln einfach den Arbeitgeber. In Zeiten des Fachkräftemangels bedeutet das für Unternehmen eine große Herausforderung.
Die gute Nachricht: Führungskräfte können dieser Entwicklung entgegensteuern und moderne Managementstile in ihre Unternehmenskultur integrieren. Einer dieser Führungsstile ist Positive Leadership. Was sich dahinter verbirgt, welche Vor- und Nachteile er hat und wie du diesen Führungsstil umsetzen kannst, erfährst du in diesem Beitrag.
Was ist Positive Leadership?
Positive Leadership – auch positive Führung genannt – stellt das Wohlbefinden von Mitarbeitenden in den Fokus. Der Managementstil geht auf die Positive Psychologie zurück, die sich mit den Grundlagen eines erfüllten Lebens beschäftigt und untersucht, welche Charaktereigenschaften und Bedingungen das Wohlbefinden begünstigen. Dieser Führungsansatz hat bis jetzt noch keine eindeutige Definition und weist Überschneidungen zu anderen modernen Management-Stilen auf. Trotzdem lassen sich ihm einige Merkmale klar zuordnen.
Im Unternehmen konzentrieren sich Positive Leader auf ein angenehmes Arbeitsklima und gehen als gutes Beispiel voran: Sie nehmen positive Elemente in der Organisation oder bei anderen wahr, stärken und fördern diese durch aktive Kommunikation. Sie sind authentisch, optimistisch und motivierend, denn der Fokus liegt auf den Ressourcen und Stärken der Teammitglieder – nicht auf deren Schwächen und Fehlern. Sie geben ihren Mitarbeitenden die Möglichkeit, sich persönlich einzubringen, an Entscheidungen beteiligt zu sein und sich individuell weiterzuentwickeln. Das Ziel: Unzufriedenheit am Arbeitsplatz vorzubeugen. Dieser neue Ansatz lässt sich übrigens auch mit dem Health-oriented Leadership (HoL) verknüpfen, ein Führungsstil, der die Gesundheit der Mitarbeitenden in den Mittelpunkt stellt.
So wirst du zum Positive Leader
Eines sollte klar sein: Positive Leadership heißt nicht, alles schönzureden und nichts mehr bemängeln zu können. Weit gefehlt! Vielmehr geht es auf der individuellen Ebene darum, konstruktiv und zuversichtlich zu handeln, mit Fehlern souverän umzugehen und den Fokus auf die Stärken der Teammitglieder zu legen. Positive Leader legen das Fundament für ein positives Arbeitsklima.
Was Führungskräfte ihren Mitarbeitenden vorleben, überträgt sich auf das Projekt-Team, die Abteilung oder sogar das gesamte Unternehmen. Es entsteht eine Atmosphäre, die das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Hilfsbereitschaft untereinander stärkt. Durch regelmäßige Kommunikation und eine offene Fehlerkultur kommen Projekte erfolgreich voran. Das wiederum sollte nicht nur im Projekt-Team, sondern im gesamten Unternehmen spürbar sein.
5 Beispiele für Positive Leadership aus der Praxis
Wie lässt sich Positive Leadership oder Health-oriented Leadership konkret im Arbeitsalltag umsetzen? Hier kommen fünf Anregungen:
Die Stärken der Teammitglieder ermitteln
Hierfür eignen sich spezielle Kompetenz-Workshops oder -Tests. Führungskräfte können ihre Mitarbeitenden aber auch individuell im Arbeitsalltag begleiten, um ihre jeweiligen Stärken zu erkennen, oder diese Frage im persönlichen Gespräch mit ihnen erörtern.
Je besser Führungskräfte die besonderen Fähigkeiten ihrer Mitarbeitenden kennen, desto einfacher können sie die Aufgabenbereiche auf deren individuelle Kompetenzprofile zuschneiden und ihnen auch mehr Verantwortung auf diesen Gebieten übergeben. Das bedeutet im Umkehrschluss: Verantwortung als Führungskraft abzugeben. Mithilfe geeigneter Weiterbildungen lassen sich Fähigkeiten zudem weiter ausbauen. Teammitglieder erhalten so die Möglichkeit, ihre Stärken gezielt für das Unternehmen einzusetzen und sich aktiv in Entscheidungsprozesse einzubringen.
Den Fokus bewusst auf Fortschritte und Erfolge legen
Indem sich Positive Leader auf erfolgreiche (Zwischen-)Schritte im Projektverlauf konzentrieren, wertschätzen sie die geleistete Arbeit und motivieren ihre Teammitglieder, gemeinsam weiter voranzuschreiten. Schwierigkeiten und Fehler sollten natürlich auch besprochen werden, aber auf konstruktive Weise.
In Zeiten von Remote Work ist das beispielsweise über eine digitale Kollaborationsplattform möglich. In thematischen Channels können Projekt-Teams über die Distanz hinweg gemeinsam Erfolge feiern – mit Emojis, Memes oder kurzen Nachrichten
Verständnis für die Fragen oder Probleme der Teammitglieder zeigen
In regelmäßigen persönlichen Gesprächen können Führungskräfte ihren Mitarbeitenden die Gelegenheit geben, Dinge anzusprechen und gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Diese offene Feedbackkultur ist nicht nur Bestandteil von Positive Leadership, sondern auch vieler moderner Führungsstile wie Agile Leadership oder dem kooperativen Managementstil. Der persönliche Austausch funktioniert übrigens nicht nur vor Ort, sondern auch remote.
Mit den Mitarbeitenden Ziele für jedes Projekt definieren
In jedem Projekt lassen sich individuelle und gemeinsame Ziele festlegen. Führungskräfte sollten in der Besprechung auch erläutern, welche Bedeutung diese Ziele für das gesamte Unternehmen haben. Dadurch wissen die Teammitglieder, worauf sie hinarbeiten (sollen) und warum.
Positive Leader nehmen sich zudem regelmäßig Zeit, mit den Teammitgliedern im Einzelgespräch oder im Team-Meeting den aktuellen Status der Ziele zu analysieren, bei Zielerreichung zu belohnen und konstruktives Feedback zu geben, wenn das Ziel einmal verfehlt wurde. Wenn Mitarbeitende zusätzlich die Möglichkeit haben, sich in gemeinnützigen Projekten zu engagieren, können sie ihre Arbeit als noch bedeutsamer und sinnerfüllter empfinden.
Für eine positive Stimmung im Projekt-Team sorgen
Eine freundliche Begrüßung am Morgen, aktiv zuzuhören und Dankbarkeit zu zeigen, können schon ausreichen, um ein positives Arbeitsumfeld zu schaffen. Darüber hinaus können Positive Leader den Zusammenhalt im Team durch regelmäßige Teambuilding-Maßnahmen stärken. Eine virtuelle Coffee Hour oder ein gemeinsames Mittagessen mit dem gesamten Projekt-Team bieten die Chance für persönlichen Austausch.
Das PERMA-Modell als Grundlage für positive Führung
Martin Seligmann, ein Vertreter der Positiven Psychologie, veröffentlichte 2011 das sogenannte PERMA-Modell. Jeder Buchstabe des Akronyms steht für einen Bereich im Leben, der zum individuellen Glück beiträgt. Der deutsche Wirtschafts- und Organisationspsychologe Markus Ebner hat dieses Modell weiterentwickelt und auf Führung in Unternehmen übertragen. Das PERMA-Lead Modell fasst die wichtigsten Eigenschaften und Auswirkungen von Positive Leadership kompakt zusammen:
- P für Positive Emotionen: Eine positive Stimmung am Arbeitsplatz steigert die Leistungsfähigkeit. Das ist durch mehrere Studien wissenschaftlich belegt.
- E für Engagement: Wer im Unternehmen seine Stärken ausleben und zum wirtschaftlichen Erfolg beitragen kann, arbeitet engagierter und motivierter.
- R für Relationships (Beziehungen): Positive Beziehungen im Unternehmen, die von gegenseitiger Unterstützung und Wertschätzung geprägt sind, stärken das Gemeinschaftsgefühl.
- M für Meaning (Sinnhaftigkeit): Mitarbeitende, die einen Sinn in ihrer Arbeit sehen, sind dazu bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen und sich persönlich stärker einzubringen.
- A für Achievement (Zielerreichung): Wenn Teammitglieder auf Ziele hinarbeiten, diese erreichen und dafür Wertschätzung erfahren, können sie ihre individuellen Potenziale besser entfalten. Dieses positive Feedback hat seinen Platz sowohl im Einzelgespräch als auch in einer größeren Gruppe.
Chancen und Herausforderungen von Positive Leadership
Wie jeder andere Führungsstil hat auch Positive Leadership verschiedene Vor- und Nachteile, die Führungskräfte abwägen sollten, bevor sie diesen Managementstil in ihrem Unternehmen einführen.
5 Chancen für dein Unternehmen
- Positive Leadership steigert die Zufriedenheit im Job.
- Zufriedene Teammitglieder arbeiten motivierter, empfinden weniger Stress, schlafen besser und fühlen sich ihrem Arbeitgeber stärker verbunden.
- Sie sind bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen und sich aktiv einzubringen.
- Engagierte Mitarbeitende arbeiten produktiver und entwickeln neue, innovative Ideen, was wiederum dem Unternehmenserfolg zugutekommt.
- Positiv eingestellte Teammitglieder melden sich weniger oft krank, leiden seltener an Burn-out und kündigen seltener innerlich.
5 Herausforderungen für Führungskräfte
- Positive Führung im Unternehmen zu implementieren, ist ein zeitaufwendiges Projekt. Neben der Bereitstellung notwendiger Ressourcen sollte die Geschäftsführung den Wandel aktiv und kontinuierlich unterstützen.
- Der positive Managementstil ist nicht für alle Situationen geeignet, denn beispielsweise in Krisenzeiten müssen schnelle Entscheidungen getroffen werden. Das steht dem Prinzip der gemeinsamen Entscheidungsfindung beim Positive Leadership entgegen, etwa wenn es um die individuelle Weiterentwicklung von Stärken oder die Definition von Zielen geht.
- Der Führungsstil erfordert eine klare und transparente Kommunikation mit allen Beteiligten. Fehlt sie, kann das zu Unklarheiten bei den Zuständigkeiten im Unternehmen führen.
- Als Führungskraft bist du größeren Belastungen ausgesetzt, da mehr Kommunikation erforderlich ist und du sehr aufmerksam bleiben musst, um positive Aspekte zu erkennen und entsprechend wertzuschätzen.
- Einige Teammitglieder können sich in dieser neuen Situation alleingelassen und orientierungslos fühlen, da sie normalerweise mehr Anleitung im Arbeitsalltag brauchen.
Positive Leadership mit Geduld und Zuversicht umsetzen
Einen neuen Führungsstil über alle Ebenen eines Unternehmens hinweg einzuführen, ist ein zeitaufwendiges Unterfangen. Doch der Einsatz lohnt sich, denn Positive Leadership schafft eine Arbeitsatmosphäre, in der sich Mitarbeitende wohlfühlen. Ein durch Führung positiv geprägtes berufliches Umfeld stärkt die emotionale Bindung der Mitarbeitenden zum Unternehmen. Das verringert nicht nur die Wechselbereitschaft, sondern trägt auch zum langfristigen Erfolg von Projekt-Teams und Unternehmen bei.
Du möchtest weitere moderne Führungsstile wie Emergent Leadership, Agile Leadership oder Co-Leadership entdecken? Auf unserer Übersichtsseite zu Leadership und Führungsstilen erfährst du, worauf es im digitalen Zeitalter ankommt.